Der Kiebitzer gibt es offen zu, schließlich schämt er sich nicht dafür: er mag den Christian Kern (immer noch). Obwohl ein bißchen vorsichtiger geworden, ist er trotzdem in Klarheit und no-nonsense seiner politischen Aussagen unübertroffen. Wenn der Kiebitzer unserem Bundeskanzler so zuhört, dann kann er sich gelegentlich sogar vorstellen, die SPÖ zu wählen. Und dabei schämt er sich dann schon ein bißchen, weil das ist ihm noch nie passiert. Glücklicherweise dauern derartige Anwandlungen immer nur einen kurzen Augenblick; die nächste saudumme Meldung aus dem Munde eines roten Apparatschiks der die SPÖ wieder in die Unwählbarkeit zurückstampft läßt im allgemeinen nicht lange auf sich warten.
Normalerweise ist für derartige Kommentare das Bildungsministerium zuständig, aber diesmal hat sich der Klubobmann persönlich dazu herabgelassen: Andreas Schieder ist nämlich der Meinung, daß man das Briefwahlrecht nicht ausweiten sondern einschränken müsse. Als Begründung gibt er an, daß es ein Wert der Demokratie sei, sein Wahlrecht persönlich und vor Ort auszuüben. Auf gut Österreichisch heißt das dann wohl, daß nur solche Leute, die sich am Tag X am Platz Y einfinden um dort gemeinsam ihr Kreuzerl zu machen, sich für Demokratie interessieren oder so.
Aha.
Sehr geehrter Herr Schieder, wenn Sie dem Kiebitzer bitte folgen würden, ja, einmal hier ums Eck bitte, ins 21. Jahrhundert…
Erstens hat sich nämlich die Mobilität der Menschen in den letzten 50 Jahren gravierend geändert. Es ist heute nicht mehr so einfach, am Sonntag zwischen Kirche und Wahl alle Genossen am Kirchplatz zu versammeln und ihnen zu sagen, wo sie das Kreuzerl setzen müssen. Briefwähler sind auch nicht mehr unbedingt jene, die kurzfristig in den vielgeschmähten Wochenendstädteurlaub jetten. Wir reden hier vom Bauarbeiter auf Montage, von der Hospizarbeiterin im Sonderdienst, und von jemanden, der für den Patchworkfamilienkindergeburtstag durch’s halbe Bundesland fahren muß. Manchmal hat man eben sich zeitlich überschneidende Verpflichtungen.
Zweitens, was soll der Schwachsinn vom “Wert der Demokratie”? In der Demokratie ist eine Stimme eine Stimme, egal von wem und von wo sie kommt. Man kann sowohl vom Wiener Identitären, der von seiner Wohnung gerade einmal über die Straße muß, wie auch vom Kärntner Grünen der eine halbe Stunde zum nächsten Wahllokal wandert, annehmen, daß beide der Demokratie den gleichen Wert zuweisen: Eben dadurch daß beide wählen gehen.
Und drittens kann man wohl davon ausgehen, daß Leute, die sich teilweise Wochen vorher mit Papierkram beschäftigen um überhaupt eine Wahlkarte zu bekommen, und dann noch sicherstellen, daß ihre Stimme auch wirklich gezählt wird, der Demokratie und ihrem Wahlrecht einen sehr hohen Wert zumessen. Und genau denen wollen Sie das Recht auf die Wahl wegnehmen Herr Schieder? Geht’s noch?
Der Alternativvorschlag halt zwei Wahltermine anzubieten kann ja auch nur ein schlechter Scherz sein. Was an potentiellen Manipulationen alles möglich ist, wenn entweder die Stimmzettel oder das Ergebnis des ersten Termins wochenlang unter Verschluß gehalten werden müssen, kann sich wohl nur ein FPÖ Funktionär ausmalen.